Wirtshaus/Robinson
und Delamarche/Bande/Onkel Jakobs
Unternehmen/Geheimversteck/Hotelkneipe/Hotel
Occidental/Vorratskammer/Koffer/Fotographie der Eltern
In
dem kleinen Wirtshaus, in das Josie nach kurzem Marsche kam, und das
eigentlich nur eine kleine letzte Station des New Yorker
Fuhrwerkverkehrs bildete und deshalb kaum für Nachtlager benützt zu
werden pflegte, verlangte Josie die billigste Bettstelle, die zu
haben war, denn er glaubte mit dem Sparen sofort anfangen zu müssen.
Er wurde seiner Forderung entsprechend vom Wirt mit einem Wink, als
sei er ein Angestellter, die Treppe hinauf gewiesen, wo ihn ein
zerrauftes altes Frauenzimmer, ärgerlich über den gestörten
Schlaf, empfing und fast ohne ihn anzuhören, mit ununterbrochenen
Ermahnungen leise aufzutreten, in ein Zimmer führte, dessen Tür
sie, nicht ohne ihn vorher mit einem Pst! angehaucht zu haben,
schloss.
Josie
wusste zuerst nicht recht, ob die Fenstervorhänge bloß
herabgelassen waren oder ob vielleicht das Zimmer überhaupt keine
Fenster habe, so finster war es; schließlich bemerkte er eine kleine
verhängte Luke, deren Tuch er weg zog, wodurch einiges Licht
hereinkam. Das Zimmer hatte zwei Betten, die aber beide schon besetzt
waren. Josie sah dort zwei junge Leute, die in schwerem Schlafe
dalagen und vor allem deshalb wenig vertrauenswürdig erschienen,
weil sie ohne verständlichen Grund angezogen schliefen; der eine
hatte sogar seine Stiefel an.
In
dem Augenblick, als Josie die Luke freigelegt hatte, hob einer der
Schläfer die Arme und Beine ein wenig in die Höhe, was einen
derartigen Anblick bot, dass Josie trotz seiner Sorgen in sich hinein
lachte.
Er
sah bald ein, dass er, abgesehen davon, dass auch keine andere
Schlafgelegenheit, weder Kanapee noch Sofa, vorhanden war, zu keinem
Schlafe werde kommen können, denn er durfte seinen erst
wiedergewonnenen Koffer und das Geld, das er bei sich trug, keiner
Gefahr aussetzen. Weg gehn aber wollte er auch nicht, denn er
getraute sich nicht, an der Zimmerfrau und dem Wirt vorüber das Haus
wieder gleich zu verlassen. Schließlich war es ja hier doch
vielleicht nicht unsicherer als auf der Landstraße. Auffallend war
freilich, dass im ganzen Zimmer, so weit sich das bei dem halben
Licht feststellen ließ, kein einziges Gepäckstück zu entdecken
war. Aber vielleicht und höchstwahrscheinlich waren die zwei jungen
Leute die Hausdiener, die der Gäste wegen bald aufstehen mussten und
deshalb angezogen schliefen. Dann war es allerdings nicht besonders
ehrenvoll, mit ihnen zu schlafen, aber desto ungefährlicher. Nur
durfte er sich aber, solange das wenigstens nicht außer jedem
Zweifel war, auf keinen Fall zum Schlafe niederlegen.
Unten
vor dem einen Bett stand eine Kerze mit Zündhölzchen, die sich
Josie mit schleichenden Schritten holte. Er hatte keine Bedenken,
Licht zu machen, denn das Zimmer gehörte nach Auftrag des Wirtes ihm
ebenso gut wie den zwei andern, die überdies den Schlaf der halben
Nacht schon genossen hatten und durch den Besitz der Betten ihm
gegenüber in unvergleichlichem Vorteil waren. Im Übrigen gab er
sich natürlich durch Vorsicht beim Herumgehn und Hantieren alle
Mühe, sie nicht zu wecken.
Zunächst
wollte er seinen Koffer untersuchen, um einmal einen Überblick über
seine Sachen zu bekommen, an die er sich schon nur undeutlich
erinnerte und von denen sicher das Wertvollste schon verloren
gegangen sein dürfte. Denn wenn der Schubal seine Hand auf etwas
legt, dann ist wenig Hoffnung, dass man es unbeschädigt
zurückbekommt. Allerdings hatte er vom Onkel ein großes Trinkgeld
erwarten können, während er aber anderseits wieder beim Fehlen
einzelner Objekte sich auf den eigentlichen Kofferwächter, den Herrn
Butterbaum, hätte ausreden können.
Über
den ersten Anblick beim Öffnen des Koffers war Josie entsetzt. Wie
viele Stunden hatte er während der Überfahrt darauf verwendet, den
Koffer zu ordnen und wieder neu zu ordnen und jetzt war alles so wild
durcheinander hinein gestopft, dass der Deckel beim Öffnen des
Schlosses von selbst in die Höhe sprang. Bald aber erkannte Josie zu
seiner Freude, dass diese Unordnung nur darin ihren Grund hatte, dass
man seinen Anzug, den er während der Fahrt getragen hatte, und für
den der Koffer natürlich nicht mehr berechnet gewesen war,
nachträglich mit eingepackt hatte. Nicht das geringste fehlte. In
der Geheimtasche des Rockes befand sich nicht nur der Pass, sondern
auch das von zu Hause mitgenommene Geld, so dass Josie, wenn er
jenes, das er bei sich hatte, dazu legte, mit Geld für den
Augenblick reichlich versehen war. Auch die Wäsche, die er bei
seiner Ankunft auf dem Leib getragen hatte, fand sich vor, rein
gewaschen und gebügelt. Er legte auch sofort Uhr und Geld in die
bewährte Geheimtasche. Das einzig Bedauerliche war, dass die
Veroneser Salami, die auch nicht fehlte, allen Sachen ihren Geruch
mitgeteilt hatte. Wenn sich das nicht durch irgendein Mittel
beseitigen ließ, hatte Josie die Aussicht, monatelang in diesen
Geruch eingehüllt herum zu gehn.
Beim
Hervorsuchen einiger Gegenstände, die zu unterst lagen, es waren
dies eine Taschenbibel, Briefpapier und die Fotografien der Eltern,
fiel ihm die Mütze vom Kopf und in den Koffer. In ihrer alten
Umgebung erkannte er sie sofort, es war seine Mütze, die Mütze, die
ihm die Mutter als Reisemütze mitgegeben hatte. Er hatte jedoch aus
Vorsicht diese Mütze auf dem Schiff nicht getragen, da er wusste,
dass man in Amerika allgemein Mützen statt Hüten trägt, weshalb er
seine nicht schon vor der Ankunft hatte abnützen wollen. Nun hatte
sie allerdings Herr Green dazu benützt, um sich auf Josies Kosten zu
belustigen. Ob ihm dazu vielleicht der Onkel auch den Auftrag gegeben
hatte? Und in einer unabsichtlichen, wütenden Bewegung fasste er den
Kofferdeckel, der laut zuklappte.
Nun
war keine Hilfe mehr, die beiden Schläfer waren geweckt. Zuerst
streckte sich und gähnte der eine, ihm folgte gleich der andere.
Dabei war fast der ganze Kofferinhalt auf dem Tisch ausgeschüttet,
wenn es Diebe waren, brauchten sie nur heranzutreten und auszuwählen.
Nicht nur um dieser Möglichkeit zuvorzukommen, sondern um auch sonst
gleich Klarheit zu schaffen, ging Josie mit der Kerze in der Hand zu
den Betten und erklärte, mit welchem Rechte er hier sei. Sie
schienen diese Erklärung gar nicht erwartet zu haben, denn noch viel
zu verschlafen, um reden zu können, sahen sie ihn bloß ohne jedes
Erstaunen an. Sie waren beide sehr junge Leute, aber schwere Arbeit
oder Not hatten ihnen vorzeitig die Knochen aus den Gesichtern vor
getrieben, unordentliche Bärte hingen ihnen ums Kinn, ihr schon
lange nicht geschnittenes Haar lag ihnen zerfahren auf dem Kopf und
ihre tief liegenden Augen rieben und drückten sie nun noch vor
Verschlafenheit mit den Fingerknöcheln.
Josie
wollte ihren augenblicklichen Schwächezustand ausnützen und sagte
deshalb: "Ich heiße Josie Rossmann und bin ein Deutscher. Bitte
sagen Sie mir, da wir doch ein gemeinsames Zimmer haben, auch ihren
Namen und ihre Nationalität. Ich erkläre nur noch gleich, dass ich
keinen Anspruch auf ein Bett erhebe, da ich so spät gekommen bin und
überhaupt nicht die Absicht habe zu schlafen. Außerdem müssen Sie
sich nicht an meinem schönen Kleid stoßen, ich bin vollständig arm
und ohne Aussichten."
Der
Kleinere von beiden — es war jener, der die Stiefel an hatte —
deutete mit Armen, Beinen und Mienen an, dass ihn das alles gar nicht
interessiere und dass jetzt überhaupt keine Zeit für derartige
Redensarten sei, legte sich nieder und schlief sofort; der andere,
ein dunkelhäutiger Mann, legte sich auch wieder nieder, sagte aber
noch vor dem Einschlafen, mit lässig ausgestreckter Hand: "Der
da heißt Robinson und ist Irländer, ich heiße Delamarche, bin
Franzose und bitte jetzt um Ruhe." Kaum hatte er das gesagt,
blies er mit großem Atemaufwand Josies Kerze aus und fiel auf das
Kissen zurück.
"Diese
Gefahr ist also vorläufig abgewehrt", sagte sich Josie und
kehrte zum Tisch zurück. Wenn ihre Schläfrigkeit nicht Vorwand war,
war ja alles gut. Unangenehm war bloß, dass der eine ein Irländer
war. Josie wusste nicht mehr genau, in was für einem Buch er einmal
zuhause gelesen hatte, dass man sich in Amerika vor den Irländern
hüten solle. Während seines Aufenthaltes beim Onkel hätte er
freilich die beste Gelegenheit gehabt, der Frage nach der
Gefährlichkeit der Irländer auf den Grund zu gehn, hatte dies aber,
weil er sich für immer gut aufgehoben geglaubt hatte, völlig
versäumt. Nun wollte er wenigstens mit der Kerze, die er wieder
angezündet hatte, diesen Irländer genauer ansehn, wobei er fand,
dass gerade dieser erträglicher aussah, als der Franzose. Er hatte
sogar noch eine Spur von runden Wangen und lächelte im Schlaf ganz
freundlich, so weit das Josie aus einiger Entfernung, auf den
Fußspitzen stehend, feststellen konnte. Trotz allem fest
entschlossen, nicht zu schlafen, setzte sich Josie auf den einzigen
Sessel des Zimmers, verschob vorläufig das Packen des Koffers, da er
ja dafür die ganze Nacht noch verwenden konnte und blätterte ein
wenig in der Bibel, ohne etwas zu lesen. Dann nahm er die Fotografie
der Eltern zur Hand, auf der der kleine Vater hoch aufgerichtet
stand, während die Mutter in dem Fauteuil vor ihm ein wenig
eingesunken dasaß. Die eine Hand hielt der Vater auf der Rückenlehne
des Fauteuils, die andere zur Faust geballt, auf einem illustrierten
Buch, das aufgeschlagen auf einem schwachen Schmucktischchen ihm zur
Seite lag. Es gab auch eine Fotografie, auf welcher Josie mit seinen
Eltern abgebildet war, Vater und Mutter sahen ihn dort scharf an,
während er nach dem Auftrag des Fotografen den Apparat hatte
anschauen müssen. Diese Fotografie hatte er aber auf die Reise nicht
mitbekommen.
Desto
genauer sah er die vor ihm liegende an und suchte von verschiedenen
Seiten den Blick des Vaters aufzufangen. Aber der Vater wollte, wie
er auch den Anblick durch verschiedene Kerzenstellungen änderte,
nicht lebendiger werden, sein waagerechter, starker Schnurrbart sah
der Wirklichkeit auch gar nicht ähnlich, es war keine gute Aufnahme.
Die Mutter dagegen war schon besser abgebildet, ihr Mund war so
verzogen, als sei ihr ein Leid angetan worden und als zwinge sie sich
zu lächeln. Josie schien es, als müsse dies jedem, der das Bild
ansah, so sehr auffallen, dass es ihm im nächsten Augenblick wieder
schien, die Deutlichkeit dieses Eindrucks sei zu stark und fast
widersinnig. Wie könne man von einem Bild so sehr die unumstößliche
Überzeugung eines verborgenen Gefühls des Abgebildeten erhalten.
Und er sah vom Bild ein Weilchen lang weg. Als er mit den Blicken
wieder zurückkehrte, fiel ihm die Hand der Mutter auf, die ganz vorn
an der Lehne des Fauteuils herab hing, zum Küssen nahe. Er dachte,
ob es nicht vielleicht doch gut wäre, den Eltern zu schreiben, wie
sie es ja tatsächlich beide und der Vater zuletzt sehr streng in
Hamburg von ihm verlangt hatten. Er hatte sich freilich, damals, als
ihm die Mutter am Fenster an einem schrecklichen Abend die
Amerika-Reise angekündigt hatte, unabänderlich zugeschworen,
niemals zu schreiben, aber was galt ein solcher Schwur eines
unerfahrenen Jungen hier in den neuen Verhältnissen. Ebenso gut
hätte er damals schwören können, dass er nach zwei Monaten
amerikanischen Aufenthaltes General der amerikanischen Miliz sein
werde, während er tatsächlich in einer Dachkammer mit zwei Lumpen
beisammen war, in einem Wirtshaus vor New York und außerdem zugeben
musste, dass er hier wirklich an seinem Platze war. Und lächelnd
prüfte er die Gesichter der Eltern, als könne man aus ihnen
erkennen, ob sie noch immer das Verlangen hatten, eine Nachricht von
ihrem Sohn zu bekommen.
In
diesem Anschauen merkte er bald, dass er doch sehr müde war und kaum
die Nacht werde durchwachen können. Das Bild entfiel seinen Händen,
dann legte er das Gesicht auf das Bild, dessen Kühle seiner Wange
wohl tat und mit einem angenehmen Gefühle schlief er ein.
Geweckt
wurde er früh durch ein Kitzeln unter der Achsel. Es war der
Franzose, der sich diese Zudringlichkeit erlaubte. Aber auch der
Irländer stand schon vor Josies Tisch und beide sahen ihn mit keinem
geringem Interesse an, als es Josie in der Nacht ihnen gegenüber
getan hatte. Josie wunderte sich nicht darüber, dass ihn ihr
Aufstehen nicht schon geweckt hatte; sie mussten durchaus nicht aus
böser Absicht besonders leise aufgetreten sein, denn er hatte tief
geschlafen und außerdem hatte ihnen das Anziehen und offenbar auch
das Waschen nicht viel Arbeit gemacht.
Nun
begrüßten sie einander ordentlich und mit einer gewissen
Förmlichkeit und Josie erfuhr, dass die zwei Maschinenschlosser
waren, die in New York schon lange Zeit keine Arbeit hatten bekommen
können und infolgedessen ziemlich heruntergekommen waren. Robinson
öffnete zum Beweise dessen seinen Rock und man konnte sehen, dass
kein Hemd da war, was man allerdings auch schon an dem lose sitzenden
Kragen hätte erkennen können, der hinten am Rock befestigt war. Sie
hatten die Absicht, in das zwei Tagereisen von New York entfernte
Städtchen Butterford zu marschieren, wo angeblich Arbeitsstellen
frei waren. Sie hatten nichts dagegen, dass Josie mitkomme und
versprachen ihm erstens zeitweilig seinen Koffer zu tragen und
zweitens, falls sie selbst Arbeit bekommen sollten, ihm eine
Lehrlingsstelle zu verschaffen, was, wenn nur überhaupt Arbeit
vorhanden sei, eine Leichtigkeit wäre. Josie hatte noch kaum
zugestimmt, als sie ihm schon freundschaftlich den Rat gaben, das
schöne Kleid auszuziehen, da es ihm bei jeder Bewerbung um eine
Stelle hinderlich sein werde. Gerade in diesem Hause sei eine gute
Gelegenheit, das Kleid los zu werden, denn die Zimmerfrau betreibe
einen Kleiderhandel. Sie halfen Josie, der auch rücksichtlich des
Kleides noch nicht ganz entschlossen war, aus dem Kleid heraus und
trugen es davon. Als Josie, allein gelassen und noch ein wenig
schlaftrunken, sein altes Reisekleid langsam anzog, machte er sich
Vorwürfe, das Kleid verkauft zu haben, das ihm vielleicht bei der
Bewerbung um eine Lehrlingsstelle schaden, um einen bessern Posten
aber nur nützen konnte und er öffnete die Tür, um die zwei zurück
zu rufen, stieß aber schon mit ihnen zusammen, die einen halben
Dollar als Erlös auf den Tisch legten, dabei aber so fröhliche
Gesichter machten, dass man sich unmöglich dazu überreden konnte,
sie hätten bei dem Verkauf nicht auch ihren Verdienst gehabt und
zwar einen ärgerlich großen.
Es
war übrigens keine Zeit sich darüber auszusprechen, denn die
Zimmerfrau kam herein, genau so verschlafen, wie in der Nacht, und
trieb alle drei auf den Gang hinaus mit der Erklärung, dass das
Zimmer für neue Gäste hergerichtet werden müsse. Davon war aber
natürlich keine Rede, sie handelte nur aus Bosheit. Josie, der
seinen Koffer gerade hatte ordnen wollen, musste zusehen, wie die
Frau seine Sachen mit beiden Händen packte und mit einer Kraft in
den Koffer warf, als seien es irgendwelche Tiere, die man zum Kuschen
bringen musste. Die beiden Schlosser machten sich zwar um sie zu
schaffen, zupften sie an ihrem Rock, beklopften ihren Rücken, aber
wenn sie die Absicht hatten, Josie damit zu helfen, so war das ganz
verfehlt. Als die Frau den Koffer zugeklappt hatte, drückte sie
Josie den Halter in die Hand, schüttelte die Schlosser ab, und jagte
alle drei mit der Drohung aus dem Zimmer, dass sie, wenn sie nicht
folgten, keinen Kaffee bekommen würden. Die Frau musste offenbar
gänzlich daran vergessen haben, dass Josie nicht von allem Anfang an
zu den Schlossern gehört hatte, denn sie behandelte sie als eine
einzige Bande. Allerdings hatten die Schlosser Josies Kleid ihr
verkauft und damit eine gewisse Gemeinsamkeit erwiesen.
Auf
dem Gange mussten sie lange hin und her gehen und besonders der
Franzose, der sich in Josie eingehängt hatte, schimpfte
ununterbrochen, drohte den Wirt, wenn er sich vorwagen sollte, nieder
zu boxen und es schien eine Vorbereitung dazu zu sein, dass er die
geballten Fäuste rasend aneinander rieb. Endlich kam ein
unschuldiger kleiner Junge, der sich strecken musste, als er dem
Franzosen die Kaffeekanne reichte. Leider war nur eine Kanne
vorhanden und man konnte dem Jungen nicht begreiflich machen, dass
noch Gläser erwünscht wären. So konnte immer nur einer trinken und
die zwei andern standen vor ihm und warteten. Josie hatte keine Lust
zu trinken, wollte aber die anderen nicht kränken und stand also,
wenn er an der Reihe war, untätig da, die Kanne an den Lippen.
Zum
Abschied warf der Irländer die Kanne auf die steinernen Fliesen hin,
sie verließen von niemandem gesehen das Haus und traten in den
dichten, gelblichen Morgennebel. Sie marschierten im Allgemeinen
still nebeneinander am Rande der Straße, Josie musste seinen Koffer
tragen, die andern würden ihn wahrscheinlich erst auf seine Bitte
ablösen, hier und da schoss ein Automobil aus dem Nebel und die drei
drehten ihre Köpfe nach den meist riesenhaften Wagen, die so
auffällig in ihrem Bau und so kurz in ihrer Erscheinung waren, dass
man nicht Zeit hatte, auch nur das Vorhandensein von Insassen zu
bemerken. Später begannen die Kolonnen der Fuhrwerke, welche
Lebensmittel nach New York brachten, und die in fünf die ganze
Breite der Straße einnehmenden Reihen so ununterbrochen dahin zogen,
dass niemand die Straße hätte überqueren können. Von Zeit zu Zeit
verbreiterte sich die Straße zu einem Platz, in dessen Mitte auf
einer turmartigen Erhöhung ein Polizist auf und ab schritt, um alles
übersehen und mit einem Stöckchen den Verkehr auf der Hauptstraße
sowie den von den Seitenstraßen hier einmündenden Verkehr ordnen zu
können, der dann bis zum nächsten Platze und zum nächsten
Polizisten unbeaufsichtigt blieb, aber von den schweigenden und
aufmerksamen Kutschern und Chauffeuren freiwillig in genügender
Ordnung gehalten wurde. Über die allgemeine Ruhe staunte Josie am
meisten. Wäre nicht das Geschrei der sorglosen Schlachttiere
gewesen, man hätte vielleicht nichts gehört, als das Klappern der
Hufe und das Sausen der Antiderapants. Dabei war die
Fahrtschnelligkeit natürlich nicht immer die gleiche. Wenn auf
einzelnen Plätzen infolge allzu großen Andranges von den Seiten
große Umstellungen vorgenommen werden mussten, stockten die ganzen
Reihen und fuhren nur Schritt für Schritt, dann aber kam es auch
wieder vor, dass für ein Weilchen alles blitzschnell vorbei jagte,
bis es wie von einer einzigen Bremse regiert sich wieder besänftigte.
Dabei stieg von der Straße nicht der geringste Staub auf; alles
bewegte sich in der klarsten Luft. Fußgänger gab es keine, hier
wanderten keine einzelnen Marktweiber zur Stadt, wie in Josies
Heimat, aber doch erschienen hier und da große flache Automobile,
auf denen an zwanzig Frauen mit Rückenkörben, also doch vielleicht
Marktweiber, standen und die Hälse streckten, um den Verkehr zu
überblicken und sich Hoffnung auf raschere Fahrt zu holen. Dann sah
man ähnliche Automobile, auf denen einzelne Männer die Hände in
den Hosentaschen herum spazierten. Auf einem dieser Automobile, die
verschiedene Aufschriften trugen, las Josie unter einem kleinen
Aufschrei "Hafenarbeiter für die Spedition Jakob aufgenommen".
Der Wagen fuhr gerade ganz langsam und ein auf der Wagentreppe
stehender, kleiner, gebückter, lebhafter Mann lud die drei Wanderer
zum Einsteigen ein. Josie flüchtete sich hinter die Schlosser, als
könne sich auf dem Wagen der Onkel befinden und ihn sehen. Er war
froh, dass auch die zwei die Einladung ablehnten, wenn ihn auch der
hochmütige Gesichtsausdruck gewissermaßen kränkte, mit dem sie das
taten. Sie mussten durchaus nicht glauben, dass sie zu gut waren, um
in die Dienste des Onkels zu treten. Er gab es ihnen, wenn auch
natürlich nicht ausdrücklich, sofort zu verstehen. Darauf bat ihn
Delamarche, sich gefälligst nicht in Sachen einzumischen, die er
nicht verstehe, diese Art Leute aufzunehmen sei ein schändlicher
Betrug und die Firma Jakob sei berüchtigt in den ganzen Vereinigten
Staaten. Josie antwortete nicht, hielt sich aber von nun an mehr an
den Irländer, er bat ihn auch, ihm jetzt ein wenig den Koffer zu
tragen, was dieser, nachdem Josie seine Bitte mehrmals wiederholt
hatte, auch tat. Nur klagte er ununterbrochen über die Schwere des
Koffers, bis sich zeigte, dass er nur die Absicht hatte, den Koffer
um die Veroneser Salami zu erleichtern, die ihm wohl schon im Hotel
angenehm aufgefallen war. Josie musste sie auspacken, der Franzose
nahm sie zu sich, um sie mit seinem dolchartigen Messer zu behandeln
und fast ganz allein auf zu essen. Robinson bekam nur hier und da
eine Schnitte, Josie dagegen, der wieder den Koffer tragen musste,
wenn er ihn nicht auf der Landstraße stehen lassen wollte, bekam
nichts, als hätte er seinen Anteil schon im Voraus sich genommen. Es
schien ihm zu kleinlich, um ein Stückchen zu betteln, aber die Galle
regte sich ihm.
Aller
Nebel war schon verschwunden, in der Ferne erglänzte ein hohes
Gebirge, das mit welligem Kamm in noch ferneren Sonnendunst führte.
An der Seite der Straße lagen schlecht bebaute Felder, die sich um
große Fabriken hinzogen, die dunkel angeraucht im freien Lande
standen. In den wahllos hingestellten, einzelnen Mietskasernen
zitterten die vielen Fenster in der mannigfaltigsten Bewegung und
Beleuchtung und auf allen den kleinen, schwachen Balkonen hatten
Frauen und Kinder vielerlei zu tun, während um sie herum, sie
verdeckend und enthüllend, aufgehängte und hingelegte Tücher und
Wäschestücke im Morgenwind flatterten und mächtig sich bauschten.
Glitten die Blicke von den Häusern ab, dann sah man Lerchen hoch am
Himmel fliegen und unten wieder die Schwalben nicht allzu weit über
den Köpfen der Fahrenden.
Vieles
erinnerte Josie an seine Heimat und er wusste nicht, ob er gut daran
tue, New York zu verlassen und in das Innere des Landes zu gehen. In
New York war das Meer und zu jeder Zeit die Möglichkeit der Rückkehr
in die Heimat. Und so blieb er stehn und sagte zu seinen beiden
Begleitern, er habe doch wieder Lust in New York zu bleiben. Und als
Delamarche ihn einfach weiter treiben wollte, ließ er sich nicht
treiben und sagte, dass er doch wohl noch das Recht habe, über sich
zu entscheiden. Der Irländer musste erst vermitteln und erklären,
dass Butterford viel schöner als New York sei und beide mussten ihn
noch sehr bitten, ehe er wieder weiter ging. Und selbst dann wäre er
noch nicht gegangen, wenn er sich nicht gesagt hätte, dass es für
ihn vielleicht besser sei, an einen Ort zu kommen, wo die Möglichkeit
der Rückkehr in die Heimat keine so leichte sei. Gewiss werde er
dort besser arbeiten und vorwärts kommen, da ihn keine unnützen
Gedanken hindern werden.
Und
nun war er es, der die beiden andern zog und sie freuten sich so sehr
über seinen Eifer, dass sie ohne sich erst bitten zu lassen, den
Koffer abwechselnd trugen und Josie gar nicht recht verstand, womit
er ihnen eigentlich diese große Freude verursache. Sie kamen in eine
ansteigende Gegend und wenn sie hier und da stehen blieben, konnten
sie beim Rückblick das Panorama New Yorks und seines Hafens immer
ausgedehnter sich entwickeln sehen. Die Brücke, die New York mit
Boston verbindet, hing zart über den Hudson und sie erzitterte, wenn
man die Augen klein machte. Sie schien ganz ohne Verkehr zu sein und
unter ihr spannte sich das unbelebte, glatte Wasserband. Alles in
beiden Riesenstädten schien leer und nutzlos aufgestellt. Unter den
Häusern gab es kaum einen Unterschied zwischen den großen und den
kleinen. In der unsichtbaren Tiefe der Straßen ging wahrscheinlich
das Leben fort nach seiner Art, aber über ihnen war nichts zu sehen,
als leichter Dunst, der sich zwar nicht bewegte, aber ohne Mühe zu
verjagen schien. Selbst in dem Hafen, dem größten der Welt, war
Ruhe eingekehrt und nur hier und da glaubte man, wohl beeinflusst von
der Erinnerung an einen früheren Anblick aus der Nähe, ein Schiff
zu sehen, das eine kurze Strecke sich fort schob. Aber man konnte ihm
auch nicht lange folgen, es entging den Augen und war nicht mehr zu
finden.
Aber
Delamarche und Robinson sahen offenbar viel mehr, sie zeigten rechts
und links und überwölbten mit den ausgestreckten Händen Plätze
und Gärten, die sie mit Namen benannten. Sie konnten es nicht
begreifen, dass Josie über zwei Monate in New York gewesen war und
kaum etwas anderes von der Stadt gesehen hatte, als eine Straße. Und
sie versprachen ihm, wenn sie in Butterford genug verdient hätten,
mit ihm nach New York zu gehen und ihm alles Sehenswerte zu zeigen
und ganz besonders natürlich jene Örtlichkeiten, wo man sich bis
zum Seligwerden unterhielt. Und Robinson begann im Anschluss daran
mit vollem Mund ein Lied zu singen, das Delamarche mit Händeklatschen
begleitete, das Josie als eine Operettenmelodie aus seiner Heimat
erkannte, die ihm hier mit dem englischen Text viel besser gefiel,
als sie ihm je zuhause gefallen hatte. So gab es eine kleine
Vorstellung im Freien, an der alle Anteil nahmen, nur die Stadt
unten, die sich angeblich bei dieser Melodie unterhielt, schien gar
nichts davon zu wissen.
Einmal
fragte Josie, wo denn die Spedition Jakob liege, und sofort sah er
Delamarches und Robinsons ausgestreckte Zeigefinger, vielleicht auf
den gleichen, vielleicht auf meilenweit entfernte Punkte gerichtet.
Als sie dann weitergingen, fragte Josie, wann sie frühestens mit
genügendem Verdienst nach New York zurückkehren könnten.
Delamarche sagte, das könne schon ganz gut in einem Monat sein, denn
in Butterford sei Arbeitermangel und die Löhne seien hoch. Natürlich
würden sie ihr Geld in eine gemeinsame Kasse legen, damit zufällige
Unterschiede im Verdienst unter ihnen als Kameraden ausgeglichen
würden. Die gemeinsame Kasse gefiel Josie nicht, trotzdem er als
Lehrling natürlich weniger verdienen würde, als ausgelernte
Arbeiter. Überdies erwähnte Robinson, dass sie natürlich, wenn in
Butterford keine Arbeit wäre, weiter wandern müssten, entweder um
als Landarbeiter irgendwo unterzukommen oder vielleicht nach
Kalifornien in die Goldwäschereien zu gehen, was nach Robinsons
ausführlichen Erzählungen zu schließen sein liebster Plan war.
"Warum sind Sie denn Schlosser geworden, wenn Sie jetzt in die
Goldwäschereien wollen?" fragte Josie, der ungern von der
Notwendigkeit solcher weiter, unsicherer Reisen hörte. "Warum
ich Schlosser geworden bin?" sagte Robinson. "Doch gewiss
nicht deshalb, damit meiner Mutter Sohn dabei verhungert. In den
Goldwäschereien ist ein feiner Verdienst." "War einmal",
sagte Delamarche. "Ist noch immer", sagte Robinson und
erzählte von vielen dabei reich gewordenen Bekannten, die noch immer
dort waren, natürlich keinen Finger mehr rührten, ihm aber aus
alter Freundschaft und selbstverständlich auch seinen Kameraden zu
Reichtum verhelfen würden. "Wir werden schon in Butterford
Stellen erzwingen", sagte Delamarche und sprach damit Josie aus
der Seele, aber eine zuversichtliche Ausdrucksweise war es nicht.
Während
des Tages machten sie nur einmal in einem Wirtshaus Halt und aßen
davor im Freien an einem, wie es Josie schien, eisernen Tisch fast
rohes Fleisch, das man mit Messer und Gabel nicht zerschneiden,
sondern nur zerreißen konnte. Das Brot hatte eine walzenartige Form
und in jedem Brotlaib steckte ein langes Messer. Zu diesem Essen
wurde eine schwarze Flüssigkeit gereicht, die im Halse brannte.
Delamarche und Robinson schmeckte sie aber, sie erhoben oft auf die
Erfüllung verschiedener Wünsche ihre Gläser und stießen
miteinander an, wobei sie ein Weilchen lang in der Höhe Glas an Glas
hielten. An Nebentischen saßen Arbeiter in kalkbespritzten Blusen
und alle tranken die gleiche Flüssigkeit. Automobile, die in Mengen
vorüber fuhren, warfen Schwaden von Staub über die Tische hin.
Große Zeitungsblätter wurden herumgereicht, man sprach erregt vom
Streik der Bauarbeiter, der Name Mack wurde öfters genannt, Josie
erkundigte sich über ihn und erfuhr, dass dies der Vater des ihm
bekannten Mack und der größte Bauunternehmer von New York war. Der
Streik kostete ihn Millionen und bedrohte vielleicht seine
geschäftliche Stellung. Josie glaubte kein Wort von diesem Gerede
schlecht unterrichteter, Übel wollender Leute.
Verbittert
wurde das Essen für Josie außerdem dadurch, dass es sehr fraglich
war, wie das Essen gezahlt werden sollte. Das Natürliche wäre
gewesen, dass jeder seinen Teil gezahlt hätte, aber Delamarche wie
auch Robinson hatten gelegentlich bemerkt, dass für das letzte
Nachtlager ihr letztes Geld aufgegangen war. Uhr, Ring oder sonst
etwas Veräußerbares war an keinem zu sehen. Und Josie konnte ihnen
doch nicht vorhalten, dass sie an dem Verkauf seiner Kleider etwas
verdient hätten, das wäre doch Beleidigung und Abschied für immer
gewesen. Das Erstaunliche aber war, dass weder Delamarche noch
Robinson irgendwelche Sorgen wegen der Bezahlung hatten, vielmehr
hatten sie gute Laune genug, möglichst oft Anknüpfungen mit der
Kellnerin zu versuchen, die stolz und mit schwerem Gang zwischen den
Tischen hin- und herging. Ihr Haar ging ihr von den Seiten ein wenig
lose in Stirn und Wangen und sie strich es immer wieder zurück,
indem sie mit den Händen darunter hinfuhr. Schließlich, als man
vielleicht das erste freundliche Wort von ihr erwartete, trat sie zum
Tisch, legte beide Hände auf ihn und fragte: "Wer zahlt?"
Nie waren Hände rascher aufgeflogen, als jetzt jene von Delamarche
und Robinson, die auf Josie zeigten. Josie erschrak darüber nicht,
denn er hatte es ja vorausgesehen und sah nichts Schlimmes darin,
dass die Kameraden, von denen er ja auch Vorteile erwartete, einige
Kleinigkeiten von ihm bezahlen ließen, wenn es auch anständiger
gewesen wäre, diese Sache vor dem entscheidenden Augenblick
ausdrücklich zu besprechen. Peinlich war bloß, dass er das Geld
erst aus der Geheimtasche herauf befördern musste. Seine
ursprüngliche Absicht war es gewesen, das Geld für die letzte Not
aufzuheben und sich also vorläufig mit seinen Kameraden
gewissermaßen in eine Reihe zu stellen. Der Vorteil, den er durch
dieses Geld und vor allem durch das Verschweigen des Besitzes
gegenüber den Kameraden erlangte, wurde für diese mehr als
reichlich dadurch aufgewogen, dass sie schon seit ihrer Kindheit in
Amerika waren, dass sie genügende Kenntnisse und Erfahrungen für
Gelderwerb hatten und dass sie schließlich an bessere
Lebensverhältnisse, als ihre gegenwärtigen, nicht gewöhnt waren.
Diese bisherigen Absichten, die Josie rücksichtlich seines Geldes
hatte, mussten an und für sich durch diese Bezahlung nicht gestört
werden, denn ein Viertelpfund konnte er schließlich entbehren und
deshalb also ein Viertelpfundstück auf den Tisch legen und erklären,
dies sei sein einziges Eigentum und er sei bereit, es für die
gemeinsame Reise nach Butterford zu opfern. Für die Fußreise
genügte auch ein solcher Betrag vollkommen. Nun aber wusste er
nicht, ob er genügendes Kleingeld hatte und überdies lag dieses
Geld sowie die zusammengelegten Banknoten irgendwo in der Tiefe der
Geheimtasche, in der man eben am besten etwas fand, wenn man den
ganzen Inhalt auf den Tisch schüttete. Außerdem war es höchst
unnötig, dass die Kameraden von dieser Geheimtasche überhaupt etwas
erfuhren. Nun schien es zum Glück, dass die Kameraden sich noch
immer mehr für die Kellnerin interessierten, als dafür, wie Josie
das Geld für die Bezahlung zusammen brächte. Delamarche lockte die
Kellnerin durch die Aufforderung, die Rechnung aufzustellen, zwischen
sich und Robinson und sie konnte die Zudringlichkeiten der beiden nur
dadurch abwehren, dass sie einem oder dem andern die ganze Hand auf
das Gesicht legte und ihn weg schob. Inzwischen sammelte Josie, heiß
vor Anstrengung, unter der Tischplatte in der einen Hand das Geld,
das er mit der andern Stück für Stück in der Geheimtasche herum
jagte und herausholte. Endlich glaubte er, trotzdem er das
amerikanische Geld noch nicht genau kannte, er hätte wenigstens der
Menge der Stücke nach eine genügende Summe und legte sie auf den
Tisch. Der Klang des Geldes unterbrach sofort die Scherze. Zu Josies
Ärger und zu allgemeinem Erstaunen zeigte sich, dass da fast ein
ganzes Pfund da lag. Keiner fragte zwar, warum Josie von dem Gelde,
das für eine bequeme Eisenbahnfahrt nach Butterford gereicht hätte,
früher nichts gesagt hatte, aber Josie war doch in großer
Verlegenheit. Langsam strich er, nachdem das Essen bezahlt worden
war, das Geld wieder ein, noch aus seiner Hand nahm Delamarche ein
Geldstück, das er für die Kellnerin als Trinkgeld brauchte, die er
umarmte und an sich drückte, um ihr dann von der andern Seite her
das Geld zu überreichen.
Josie
war ihnen auch dankbar, dass sie auf dem Weitermarsch über das Geld
keine Bemerkungen machten und er dachte sogar eine Zeit lang daran,
ihnen sein ganzes Vermögen einzugestehen, unterließ das aber doch,
da sich keine rechte Gelegenheit fand. Gegen Abend kamen sie in eine
mehr ländliche, fruchtbare Gegend. Rings herum sah man ungeteilte
Felder, die sich in ihrem ersten Grün über sanfte Hügel legten;
reiche Landsitze umgrenzten die Straße und stundenlang ging man
zwischen den vergoldeten Gittern der Gärten, mehrmals kreuzten sie
den gleichen langsam fließenden Strom und viele mal hörten sie über
sich die Eisenbahnzüge auf den hoch sich schwingenden Viadukten
donnern.
Eben
ging die Sonne an dem geraden Rande ferner Wälder nieder, als sie
sich auf einer Anhöhe inmitten einer kleinen Baumgruppe ins Gras hin
warfen, um sich von den Strapazen auszuruhen. Delamarche und Robinson
lagen da und streckten sich nach Kräften, Josie saß aufrecht und
sah auf die paar Meter tiefer führende Straße, auf der immer wieder
Automobile, wie schon während des ganzen Tages, leicht aneinander
vorüber eilten, als würden sie in genauer Anzahl immer wieder von
der Ferne abgeschickt und in der gleichen Anzahl in der andern Ferne
erwartet. Während des ganzen Tages, seit dem frühesten Morgen,
hatte Josie kein Automobil halten, keinen Passagier aussteigen
gesehn.
Robinson
machte den Vorschlag, die Nacht hier zu verbringen, da sie alle genug
müde wären, da sie dann desto eher ausmarschieren könnten und da
sie schließlich kaum ein billigeres und besser gelegenes Nachtlager
vor Einbruch völliger Dunkelheit finden könnten. Delamarche war
einverstanden und nur Josie glaubte zu der Bemerkung verpflichtet zu
sein, dass er genug Geld habe, um das Nachtlager für alle auch in
einem Hotel zu bezahlen. Delamarche sagte, sie würden das Geld noch
brauchen, er solle es nur gut aufheben. Delamarche verbarg nicht im
Geringsten, dass man mit Josies Gelde schon rechnete. Da sein erster
Vorschlag angenommen war, erklärte nun Robinson weiter, nun müssten
sie aber vor dem Schlafen, um sich für morgen zu kräftigen, etwas
Tüchtiges essen und einer solle das Essen für alle aus dem Hotel
holen, das in nächster Nähe an der Landstraße mit der Aufschrift
"Hotel Occidental" leuchtete. Als der Jüngste und da sich
auch sonst niemand meldete, zögerte Josie nicht, sich für diese
Besorgung anzubieten und ging, nachdem er eine Bestellung auf Speck,
Brot und Bier erhalten hatte, ins Hotel hinüber.
Es
musste eine große Stadt in der Nähe sein, denn gleich der erste
Saal des Hotels, den Josie betrat, war von einer lauten Menge erfüllt
und an dem Buffet, das sich an einer Längswand und an den zwei
Seitenwänden hinzog, liefen unaufhörlich viele Kellner mit weißen
Schürzen vor der Brust und konnten doch die ungeduldigen Gäste
nicht zufrieden stellen, denn immer wieder hörte man an den
verschiedensten Stellen Flüche und Fäuste, die auf den Tisch
schlugen. Josie wurde von niemandem beachtet; es gab auch im Saale
selbst keine Bedienung, die Gäste, die an winzigen, bereits zwischen
drei Tischnachbarn verschwindenden Tischen saßen, holten alles, was
sie wünschten, beim Buffet. Auf allen Tischchen stand eine große
Flasche mit Öl, Essig oder dergleichen und alle Speisen, die vom
Büffet geholt wurden, wurden vor dem Essen aus dieser Flasche
übergossen. Wollte Josie überhaupt erst zum Buffet kommen, wo ja
dann wahrscheinlich, besonders bei seiner großen Bestellung, die
Schwierigkeiten erst beginnen würden, musste er sich zwischen vielen
Tischen durchdrängen, was natürlich bei aller Vorsicht nicht ohne
grobe Belästigung der Gäste durchzuführen war, die jedoch alles
wie gefühllos hinnahmen, selbst als Josie einmal allerdings
gleichfalls von einem Gast gegen ein Tischchen gestoßen worden war,
das er fast umgeworfen hätte. Er entschuldigte sich zwar, wurde aber
offenbar nicht verstanden, verstand übrigens auch nicht das
Geringste von dem, was man ihm zurief.
Beim
Buffet fand er mit Mühe ein kleines, freies Plätzchen, auf dem ihm
eine lange Weile die Aussicht durch die aufgestützten Ellbogen
seiner Nachbarn genommen war. Es schien hier überhaupt eine Sitte,
die Ellbogen aufzustützen und die Faust an die Schläfe zu drücken;
Josie musste daran denken, wie der Lateinprofessor Dr. Krumpal gerade
diese Haltung gehasst hatte und wie er immer heimlich und unversehens
herangekommen war und mittels eines plötzlich erscheinenden Lineals
mit schmerzhaftem Ruck die Ellbogen von den Tischen gestreift hatte.
Josie
stand eng ans Büffet gedrängt, denn kaum hatte er sich angestellt,
war hinter ihm ein Tisch aufgestellt worden, und der eine der dort
sich niederlassenden Gäste streifte schon, wenn er sich nur ein
wenig beim Reden zurück bog, mit seinem großen Hut Josies Rücken.
Und dabei war so wenig Hoffnung, vom Kellner etwas zu bekommen,
selbst als die beiden plumpen Nachbarn befriedigt weggegangen waren.
Einige Mal hatte Josie einen Kellner über den Tisch hin bei der
Schürze gefasst, aber immer hatte sich der mit verzerrtem Gesicht
losgerissen. Keiner war zu halten, sie liefen nur und liefen nur.
Wenn wenigstens in der Nähe Josies etwas Passendes zum Essen und
Trinken gewesen wäre, er hätte es genommen, sich nach dem Preis
erkundigt, das Geld hingelegt und wäre mit Freude weg gegangen. Aber
gerade vor ihm lagen nur Schüsseln mit heringsartigen Fischen, deren
schwarze Schuppen am Rande goldig glänzten. Die konnten sehr teuer
sein und würden wahrscheinlich niemanden sättigen. Außerdem waren
kleine Fässchen mit Rum erreichbar, aber Rum wollte er seinen
Kameraden nicht bringen, sie schienen schon sowieso bei jeder
Gelegenheit nur auf den konzentriertesten Alkohol auszugehn und darin
wollte er sie nicht noch unterstützen.
Es
blieb also Josie nichts übrig, als einen andern Platz zu suchen und
mit seinen Bemühungen von vorne anzufangen. Nun war aber auch schon
die Zeit sehr vorgerückt. Die Uhr am andern Ende des Saales, deren
Zeiger man beim scharfen Hinsehen durch den Rauch gerade noch
erkennen konnte, zeigte schon neun vorüber. Anderswo am Buffet war
aber das Gedränge noch größer, als an dem früheren, ein wenig
abgelegenen Platz. Außerdem füllte sich der Saal desto mehr, je
später es wurde. Immer wieder zogen durch die Haupttüre mit großem
Hallo neue Gäste ein. An manchen Stellen räumten Gäste
selbstherrlich das Buffet ab, setzten sich aufs Pult und tranken
einander zu; es waren die besten Plätze, man übersah den ganzen
Saal.
Josie
drängte sich zwar noch weiter durch, aber eine eigentliche Hoffnung,
etwas zu erreichen, hatte er nicht mehr. Er machte sich Vorwürfe
darüber, dass er, der die hiesigen Verhältnisse nicht kannte, sich
zu dieser Besorgung angeboten hatte. Seine Kameraden würden ihn mit
vollem Recht auszanken und gar noch denken, dass er, nur um Geld zu
sparen, nichts mitgebracht hatte. Nun stand er gar in einer Gegend,
wo ringsherum an den Tischen warme Fleischspeisen mit schönen,
gelben Kartoffeln gegessen wurden, es war ihm unbegreiflich, wie sich
das die Leute verschafft hatten.
Da
sah er paar Schritte vor sich eine ältere, offenbar zum
Hotelpersonal gehörige Frau, die lachend mit einem Gast redete.
Dabei arbeitete sie fortwährend mit einer Haarnadel in ihrer Frisur
herum. Sofort war Josie entschlossen, seine Bestellung bei dieser
Frau vorzubringen, schon weil sie ihm als die einzige Frau im Saal
eine Ausnahme vom allgemeinen Lärm und Jagen bedeutete und dann auch
aus dem einfachen Grunde, weil sie die einzige Hotelangestellte war,
die man erreichen konnte, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht
beim ersten Wort, das er an sie richten würde, in Geschäften
fortlief. Aber ganz das Gegenteil trat ein. Josie hatte sie noch gar
nicht angeredet, sondern nur ein wenig belauert, als sie, wie man
eben manchmal mitten im Gespräch beiseite schaut, zu Josie hinsah
und ihn, ihre Rede unterbrechend, freundlich und in einem Englisch
klar wie die Grammatik fragte, ob er etwas suche. "Allerdings",
sagte Josie, "ich kann hier gar nichts bekommen." "Dann
kommen Sie mit mir, Kleiner", sagte sie, verabschiedete sich von
ihrem Bekannten, der seinen Hut abnahm, was hier wie unglaubliche
Höflichkeit erschien, fasste Josie bei der Hand, ging zum Buffet,
schob einen Gast beiseite, öffnete eine Klapptür im Pult,
durchquerte mit Josie den Gang hinter dem Pult, wo man sich vor den
unermüdlich laufenden Kellnern in Acht nehmen musste, öffnete eine
zweifache Tapetentüre, und schon befanden sie sich in großen,
kühlen Vorratskammern. "Man muss eben den Mechanismus kennen",
sagte sich Josie. "Also was wollen Sie denn?" fragte sie
und beugte sich dienstbereit zu ihm herab. Sie war sehr dick, ihr
Leib schaukelte sich, aber ihr Gesicht hatte eine, natürlich im
Verhältnis, fast zarte Bildung. Josie war versucht, im Anblick der
vielen Esswaren, die hier sorgfältig in Regalen und auf Tischen
aufgeschichtet lagen, für seine Bestellung rasch ein feineres
Nachtessen auszudenken, besonders da er erwarten konnte, von dieser
einflussreichen Frau billig bedient zu werden, schließlich aber
nannte er doch wieder, da ihm nichts Passendes einfiel, nur Speck,
Brot und Bier. "Nichts weiter?" fragte die Frau. "Nein
danke", sagte Josie, "aber für drei Personen." Auf
die Frage der Frau nach den zwei andern, erzählte Josie in paar
kurzen Worten von seinen Kameraden, es machte ihm Freude, ein wenig
ausgefragt zu werden.
"Aber
das ist ja ein Essen für Sträflinge", sagte die Frau und
erwartete nun offenbar weitere Wünsche Josies. Dieser aber fürchtete
nun, sie werde ihn beschenken und kein Geld annehmen wollen und
schwieg deshalb. "Das werden wir gleich zusammengestellt haben",
sagte die Frau, ging mit einer bei ihrer Dicke bewunderungswerten
Beweglichkeit zu einem Tisch hin, schnitt mit einem langen dünnen,
sägeblattartigen Messer ein großes Stück mit viel Fleisch
durchwachsenen Specks ab, nahm aus einem Regal ein Laib Brot, hob vom
Boden drei Flaschen Bier auf und legte alles in einen leichten
Strohkorb, den sie Josie reichte. Zwischendurch erklärte sie Josie,
sie habe ihn deshalb hierher geführt, weil die Esswaren draußen im
Buffet im Rauch und in den vielen Ausdünstungen trotz des schnellen
Verbrauches immer die Frische verlieren. Für die Leute draußen sei
aber alles gut genug. Josie sagte nun gar nichts mehr, denn er wusste
nicht, wodurch er diese auszeichnende Behandlung verdiene. Er dachte
an seine Kameraden, die vielleicht, so gute Kenner Amerikas sie auch
waren, doch nicht bis in diese Vorratskammern gedrungen wären und
sich mit den verdorbenen Esswaren auf dem Büffet hätten begnügen
müssen. Man hörte hier keinen Laut aus dem Saal, die Mauern mussten
sehr dick sein, um diese Gewölbe genügend kühl zu erhalten. Josie
hatte schon den Strohkorb ein Weilchen lang in der Hand, dachte aber
nicht an Zahlen und rührte sich auch nicht. Nur als die Frau noch
nachträglich eine Flasche, ähnlich denen, die draußen auf den
Tischen standen, in den Korb legen wollte, dankte er schaudernd.
"Haben
Sie noch einen weiten Marsch?" fragte die Frau. "Bis nach
Butterford", antwortete Josie. "Das ist noch sehr weit",
sagte die Frau. "Noch eine Tagereise", sagte Josie. "Nicht
weiter?" fragte die Frau. "Oh nein", sagte Josie.
Die
Frau rückte einige Sachen auf den Tischen zurecht, ein Kellner kam
herein, schaute suchend herum, wurde dann von der Frau auf eine große
Schüssel hingewiesen, in der ein breiter, mit ein wenig Petersilie
bestreuter Haufen von Sardinen lag, und trug dann diese Schüssel in
den erhobenen Händen in den Saal hinaus.
"Warum
wollen Sie denn eigentlich im Freien übernachten?" fragte die
Frau. "Wir haben hier genug Platz. Schlafen Sie bei uns im
Hotel." Das war für Josie sehr verlockend, besonders da er die
vorige Nacht so schlecht verbracht hatte. "Ich habe mein Gepäck
draußen", sagte er zögernd und nicht ganz ohne Eitelkeit. "Das
bringen Sie nur her", sagte die Frau, "das ist kein
Hindernis." "Aber meine Kameraden!" sagte Josie und
merkte sofort, dass die allerdings ein Hindernis waren. "Die
dürfen natürlich auch hier übernachten", sagte die Frau.
"Kommen Sie nur! Lassen Sie sich nicht so bitten." "Meine
Kameraden sind im Übrigen brave Leute", sagte Josie, "aber
sie sind nicht rein." "Haben Sie denn den Schmutz im Saal
nicht gesehen?" fragte die Frau und verzog das Gesicht. "Zu
uns kann wirklich der Ärgste kommen. Ich werde also gleich drei
Betten vorbereiten lassen. Allerdings nur auf dem Dachboden, denn das
Hotel ist vollbesetzt, ich bin auch auf den Dachboden übersiedelt,
aber besser als im Freien ist es jedenfalls." "Ich kann
meine Kameraden nicht mitbringen", sagte Josie. Er stellte sich
vor, was für einen Lärm die zwei auf den Gängen dieses feinen
Hotels machen wurden, und Robinson würde alles verunreinigen und
Delamarche unfehlbar selbst diese Frau belästigen. "Ich weiß
nicht, warum das unmöglich sein soll", sagte die Frau, "aber
wenn Sie es so wollen, dann lassen Sie eben Ihre Kameraden draußen
und kommen allein zu uns." "Das geht nicht, das geht
nicht", sagte Josie, "es sind meine Kameraden und ich muss
bei ihnen bleiben." "Sie sind starrköpfig", sagte die
Frau und sah von ihm weg, "man meint es gut mit ihnen, möchte
ihnen gern behilflich sein und Sie wehren sich mit allen Kräften."
Josie sah das alles ein, aber er wusste keinen Ausweg, so sagte er
nur noch: "Meinen besten Dank für Ihre Freundlichkeit",
dann erinnerte er sich daran, dass er noch nicht gezahlt hatte, und
fragte nach dem schuldigen Betrag. "Zahlen Sie das erst, bis Sie
mir den Strohkorb zurückbringen", sagte die Frau. "Spätestens
morgen früh muss ich ihn haben." "Bitte", sagte
Josie. Sie öffnete eine Türe, die geradewegs ins Freie führte und
sagte noch, während er mit einer Verbeugung hinaustrat: "Gute
Nacht. Sie handeln aber nicht recht." Er war schon ein paar
Schritte weit, da rief sie ihm noch nach: "Auf Wiedersehn,
morgen!" Kaum war er draußen, hörte er auch schon wieder aus
dem Saal den ungeschwächten Lärm, in den sich jetzt auch Klänge
eines Blasorchesters mischten. Er war froh, dass er nicht durch den
Saal hatte herausgehen müssen. Das Hotel war jetzt in allen seinen
fünf Stockwerken beleuchtet und machte die Straße davor in ihrer
ganzen Breite hell. Noch immer fuhren draußen, wenn auch schon in
unterbrochener Folge, Automobile, rascher aus der Ferne her
anwachsend als bei Tag, tasteten mit den weißen Strahlen ihrer
Laternen den Boden der Straße ab, kreuzten mit erblassenden Lichtern
die Lichtzone des Hotels und eilten aufleuchtend in das weitere
Dunkel.
Die
Kameraden fand Josie schon in tiefem Schlaf, er war aber auch zu
lange ausgeblieben. Gerade wollte er das Mitgebrachte appetitlich auf
Papieren ausbreiten, die er im Korbe vorfand, um erst wenn alles
fertig wäre, die Kameraden zu wecken, als er zu seinem Schrecken
seinen Koffer, den er abgesperrt zurückgelassen hatte und dessen
Schlüssel er in der Tasche trug, vollständig geöffnet sah, während
der halbe Inhalt ringsherum im Gras verstreut war. "Steht auf!"
rief er. "Ihr schlaft und inzwischen waren Diebe da."
"Fehlt denn etwas?" fragte Delamarche. Robinson war noch
nicht ganz wach und griff schon nach dem Bier. "Ich weiß
nicht", rief Josie, "aber der Koffer ist offen. Das ist
doch eine Unvorsichtigkeit, sich schlafen zu legen und den Koffer
hier frei stehen zu lassen." Delamarche und Robinson lachten und
der erstere sagte: "Sie dürfen eben nächstens nicht so lange
fortbleiben. Das Hotel ist zehn Schritte entfernt und Sie brauchen
zum Hin- und Herweg drei Stunden. Wir haben Hunger gehabt, haben
gedacht, dass Sie in ihrem Koffer etwas zum Essen haben könnten und
haben das Schloss solange gekitzelt, bis es sich aufgemacht hat. Im
Übrigen war ja gar nichts drin und Sie können alles wieder ruhig
einpacken." "So", sagte Josie, starrte in den rasch
sich leerenden Korb und horchte auf das eigentümliche Geräusch, das
Robinson beim Trinken hervorbrachte, da ihm die Flüssigkeit zuerst
weit in die Gurgel eindrang, dann aber mit einer Art Pfeifen wieder
zurück schnellte, um erst dann in großem Erguss in die Tiefe zu
rollen. "Haben Sie schon zu Ende gegessen?" fragte er, als
sich die beiden einen Augenblick verschnauften. "Haben Sie denn
nicht schon im Hotel gegessen?" fragte Delamarche, der glaubte,
Josie beanspruche seinen Anteil. "Wenn Sie noch essen wollen,
dann beeilen Sie sich", sagte Josie und ging zu seinem Koffer.
"Der scheint Launen zu haben", sagte Delamarche zu
Robinson. "Ich habe keine Launen", sagte Josie, "aber
ist es vielleicht recht, in meiner Abwesenheit meinen Koffer
aufzubrechen und meine Sachen herauszuwerfen. Ich weiß, man muss
unter Kameraden manches dulden, und ich habe mich auch darauf
vorbereitet, aber das ist zu viel. Ich werde im Hotel übernachten
und gehe nicht nach Butterford. Essen Sie rasch auf, ich muss den
Korb zurückgeben." "Siehst du, Robinson, so spricht man",
sagte Delamarche, "das ist die feine Redeweise. Er ist eben ein
Deutscher. Du hast mich früh vor ihm gewarnt, aber ich bin ein guter
Narr gewesen und habe ihn doch mitgenommen. Wir haben ihm unser
Vertrauen geschenkt, haben ihn einen ganzen Tag mit uns geschleppt,
haben dadurch zumindest einen halben Tag verloren und jetzt — weil
ihn dort im Hotel irgendjemand gelockt hat — verabschiedet er sich,
verabschiedet sich einfach. Aber weil er ein falscher Deutscher ist,
tut er dies nicht offen, sondern sucht sich den Vorwand mit dem
Koffer und weil er ein grober Deutscher ist, kann er nicht weggehen,
ohne uns in unserer Ehre zu beleidigen und uns Diebe zu nennen, weil
wir mit seinem Koffer einen kleinen Scherz gemacht haben."
Josie, der seine Sachen packte, sagte ohne sich umzuwenden: "Reden
Sie nur so weiter und erleichtern Sie mir das Weggehn. Ich weiß ganz
gut, was Kameradschaft ist. Ich habe in Europa auch Freunde gehabt
und keiner kann mir vorwerfen, dass ich mich falsch oder gemein gegen
ihn benommen hätte. Wir sind jetzt natürlich außer Verbindung,
aber wenn ich noch einmal nach Europa zurückkommen sollte, werden
mich alle gut aufnehmen und mich sofort als ihren Freund anerkennen.
Und Sie, Delamarche, und Sie, Robinson, Sie hätte ich verraten
sollen, da Sie doch, was ich niemals vertuschen werde, so freundlich
waren, sich meiner anzunehmen und mir eine Lehrlingsstelle in
Butterford in Aussicht zu stellen. Aber es ist etwas anderes. Sie
haben nichts und das erniedrigt Sie in meinen Augen nicht im
Geringsten, aber Sie missgönnen mir meinen kleinen Besitz und suchen
mich deshalb zu demütigen, das kann ich nicht aushalten. Und nun,
nachdem Sie meinen Koffer aufgebrochen haben, entschuldigen Sie sich
mit keinem Wort, sondern beschimpfen mich noch und beschimpfen weiter
mein Volk — damit nehmen Sie mir aber auch jede Möglichkeit, bei
Ihnen zu bleiben. Übrigens gilt das alles nicht eigentlich Ihnen,
Robinson. Gegen ihren Charakter habe ich nur einzuwenden, dass Sie
von Delamarche zu sehr abhängig sind." "Da sehen wir ja",
sagte Delamarche, indem er zu Josie trat und ihm einen leichten Stoß
gab, wie um ihn aufmerksam zu machen, "da sehen wir ja, wie Sie
sich entpuppen. Den ganzen Tag sind Sie hinter mir gegangen, haben
sich an meinem Rock gehalten, haben mir jede Bewegung nachgemacht und
waren sonst still wie ein Mäuschen. Jetzt aber, da Sie im Hotel
irgendeinen Rückhalt spüren, fangen Sie große Reden zu halten an.
Sie sind ein kleiner Schlaumeier und ich weiß noch gar nicht, ob wir
das so ruhig hinnehmen werden. Ob wir nicht das Lehrgeld für das
verlangen werden, was Sie uns während des Tages abgeschaut haben. Du
Robinson, wir beneiden ihn — meint er — um seinen Besitz. Ein Tag
Arbeit in Butterford — von Kalifornien gar nicht zu reden — und
wir haben zehnmal mehr, als Sie uns gezeigt haben und als Sie in
ihrem Rockfutter noch versteckt haben mögen. Also nur immer Achtung
aufs Maul!" Josie hatte sich vom Koffer erhoben und sah nun auch
den verschlafenen, aber vom Bier ein wenig belebten Robinson
herankommen. "Wenn ich noch lange hier bliebe", sagte er,
"könnte ich vielleicht noch weitere Überraschungen erleben.
Sie scheinen Lust zu haben, mich durch zu prügeln." "Alle
Geduld hat ein Ende", sagte Robinson. "Sie schweigen
besser, Robinson", sagte Josie, ohne Delamarche aus den Augen zu
lassen, "im Innern geben Sie mir ja doch recht, aber nach außen
müssen Sie es mit Delamarche halten." "Wollen Sie ihn
vielleicht bestechen?" fragte Delamarche. "Fällt mir nicht
ein", sagte Josie. "Ich bin froh, dass ich fortgehe und ich
will mit keinem von Ihnen mehr etwas zu tun haben. Nur eines will ich
noch sagen, Sie haben mir den Vorwurf gemacht, dass ich Geld besitze
und es vor ihnen versteckt habe. Angenommen, dass es wahr ist, war es
nicht sehr richtig, Leuten gegenüber gehandelt, die ich erst paar
Stunden kannte und bestätigen Sie nicht noch durch ihr jetziges
Benehmen die Richtigkeit einer derartigen Handlungsweise?"
"Bleib ruhig", sagte Delamarche zu Robinson, trotzdem sich
dieser nicht rührte. Dann fragte er Josie: "Da Sie so
unverschämt aufrichtig sind, so treiben Sie doch, da wir ja so
gemütlich beisammen stehen, diese Aufrichtigkeit noch weiter und
gestehen Sie ein, warum Sie eigentlich ins Hotel wollen." Josie
musste einen Schritt über den Koffer hinweg machen, so nahe war
Delamarche an ihn herangetreten. Aber Delamarche ließ sich dadurch
nicht beirren, schob den Koffer beiseite, machte einen Schritt
vorwärts, wobei er den Fuß auf ein weißes Vorhemd setzte, das im
Gras liegen geblieben war und wiederholte seine Frage.
Wie
zur Antwort stieg von der Straße her ein Mann mit einer stark
leuchtenden Taschenlampe zu der Gruppe herauf. Es war ein Kellner aus
dem Hotel. Kaum hatte er Josie erblickt, sagte er: "Ich suche
Sie schon fast eine halbe Stunde. Alle Böschungen auf beiden
Straßenseiten habe ich schon abgesucht. Die Frau Oberköchin lässt
Ihnen nämlich sagen, dass sie den Strohkorb, den sie Ihnen geborgt
hat, dringend braucht." "Hier ist er", sagte Josie,
mit einer vor Aufregung unsichern Stimme. Delamarche und Robinson
waren in scheinbarer Bescheidenheit beiseite getreten, wie sie es vor
fremden, gut gestellten Leuten immer machten. Der Kellner nahm den
Korb an sich und sagte: "Dann lässt Sie die Frau Oberköchin
fragen, ob Sie es sich nicht überlegt haben und doch vielleicht im
Hotel übernachten wollten. Auch die beiden andern Herren wären
willkommen, wenn Sie sie mitnehmen wollen. Die Betten sind schon
vorbereitet. Die Nacht ist ja heute warm, aber hier auf der Lehne ist
es durchaus nicht ungefährlich zu schlafen, man findet öfters
Schlangen." "Da die Frau Oberköchin so freundlich ist,
werde ich ihre Einladung doch annehmen", sagte Josie und wartete
auf eine Äußerung seiner Kameraden. Aber Robinson stand stumpf da
und Delamarche hatte die Hände in den Hosentaschen und schaute zu
den Sternen hinauf. Beide bauten offenbar darauf, dass Josie sie ohne
weiteres mitnehmen werde. "Für diesen Fall", sagte der
Kellner, "habe ich den Auftrag, Sie ins Hotel zu führen und ihr
Gepäck zu tragen." "Dann warten Sie bitte noch einen
Augenblick", sagte Josie und bückte sich, um die paar Sachen,
die noch herum lagen, in den Koffer zu legen.
Plötzlich
richtete er sich auf. Die Fotografie fehlte, sie hatte ganz oben im
Koffer gelegen und war nirgends zu finden. Alles war vollständig,
nur die Fotografie fehlte. "Ich kann die Fotografie nicht
finden", sagte er bittend zu Delamarche. "Was für eine
Fotografie?" fragte dieser. "Die Fotografie meiner Eltern",
sagte Josie. "Wir haben keine Fotografie gesehen", sagte
Delamarche. "Es war keine Fotografie drin, Herr Rossmann",
bestätigte auch Robinson von seiner Seite. "Aber das ist doch
unmöglich", sagte Josie und seine Hilfe suchenden Blicke zogen
den Kellner näher. "Sie lag obenauf und jetzt ist sie weg. Wenn
Sie doch lieber den Spaß mit dem Koffer nicht gemacht hätten."
"Jeder Irrtum ist ausgeschlossen", sagte Delamarche, "in
dem Koffer war keine Fotografie." "Sie war mir wichtiger,
als alles, was ich sonst im Koffer habe", sagte Josie zum
Kellner, der herum ging und im Grase suchte. "Sie ist nämlich
unersetzlich, ich bekomme keine zweite." Und als der Kellner von
dem aussichtslosen Suchen abließ, sagte er noch: "Es war das
einzige Bild, das ich von meinen Eltern besaß." Daraufhin sagte
der Kellner laut, ohne jede Beschönigung: "Vielleicht könnten
wir noch die Taschen der Herren untersuchen." "Ja",
sagte Josie sofort, "ich muss die Fotografie finden. Aber ehe
ich die Taschen durchsuche, sage ich noch, dass, wer mir die
Fotografie freiwillig gibt, den ganzen gefüllten Koffer bekommt."
Nach einem Augenblick allgemeiner Stille sagte Josie zum Kellner:
"Meine Kameraden wollen also offenbar die Taschendurchsuchung.
Aber selbst jetzt verspreche ich sogar demjenigen, in dessen Tasche
die Fotografie gefunden wird, den ganzen Koffer. Mehr kann ich nicht
tun." Sofort machte sich der Kellner daran, Delamarche zu
untersuchen, der ihm schwieriger zu behandeln schien, als Robinson,
den er Josie überließ. Er machte Josie darauf aufmerksam, dass
beide gleichzeitig untersucht werden müssten, da sonst einer
unbeobachtet die Fotografie beiseite schaffen könnte. Gleich beim
ersten Griff fand Josie in Robinsons Tasche eine ihm gehörige
Krawatte, aber er nahm sie nicht an sich und rief dem Kellner zu:
"Was Sie bei Delamarche auch finden mögen, lassen Sie ihm bitte
alles. Ich will nichts als die Fotografie, nur die Fotografie."
Beim Durchsuchen der Brusttaschen gelangte Josie mit der Hand an die
heiße, fettige Brust Robinsons und da kam es ihm zu Bewusstsein,
dass er an seinen Kameraden vielleicht ein großes Unrecht begehe. Er
beeilte sich nun nach Möglichkeit. Im Übrigen war alles umsonst,
weder bei Robinson noch bei Delamarche fand sich die Fotografie vor.
"Es
hilft nichts", sagte der Kellner. "Sie haben wahrscheinlich
die Fotografie zerrissen und die Stücke weggeworfen", sagte
Josie, "ich dachte, sie wären meine Freunde, aber im Geheimen
wollten sie mir nur schaden. Nicht eigentlich Robinson, der wäre gar
nicht auf den Einfall gekommen, dass die Fotografie solchen Wert für
mich hat, aber desto mehr Delamarche." Josie sah nur den Kellner
vor sich, dessen Laterne einen kleinen Kreis beleuchtete, während
alles sonst, auch Delamarche und Robinson, in tiefem Dunkel war.
Es
war natürlich gar nicht mehr die Rede davon, dass die beiden in das
Hotel mitgenommen werden könnten. Der Kellner schwang den Koffer auf
die Achsel, Josie nahm den Strohkorb und sie gingen. Josie war schon
auf der Straße, als er im Nachdenken sich unterbrechend stehen blieb
und in das Dunkel hinauf rief: "Hören Sie einmal! Sollte doch
einer von Ihnen die Fotografie noch haben und mir ins Hotel bringen
wollen — er bekommt den Koffer noch immer und wird — ich schwöre
es — nicht angezeigt." Es kam keine eigentliche Antwort
herunter, nur ein abgerissenes Wort war zu hören, der Beginn eines
Zurufes Robinsons, dem aber offenbar Delamarche sofort den Mund
stopfte. Noch eine lange Weile wartete Josie, ob man sich oben nicht
doch noch anders entscheiden würde. Zweimal rief er in Abständen:
"Ich bin noch immer da." Aber kein Laut antwortete, nur
einmal rollte ein Stein den Abhang herab, vielleicht durch Zufall,
vielleicht in einem verfehlten Wurf.
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