Waschung/Guten
Appetit!
"Auf!
Auf!" rief Robinson, kaum dass Josie früh die Augen öffnete.
Der Türvorhang war noch nicht weggezogen, aber man merkte an dem
durch die Lücken einfallenden, gleichmäßigen Sonnenlicht, wie spät
am Vormittag es schon war. Robinson lief eilfertig mit besorgten
Blicken hin und her, bald trug er ein Handtuch, bald einen
Wasserkübel, bald Wäsche- und Kleidungsstücke und immer, wenn er
an Josie vorüber kam, suchte er ihn durch Kopfnicken zum Aufstehen
aufzumuntern und zeigte durch Hochheben dessen, was er gerade in der
Hand hielt, wie er sich heute noch zum letzten Mal für Josie plage,
der natürlich am ersten Morgen von den Einzelheiten des Dienstes
nichts verstehen konnte.
Aber
bald sah Josie, wen Robinson eigentlich bediente. In einem durch zwei
Kästen vom übrigen Zimmer abgetrennten Raum, den Josie bisher noch
nicht gesehen hatte, fand eine große Waschung statt. Man sah den
Kopf Bruneldas, den freien Hals — das Haar war gerade ins Gesicht
geschlagen — und den Ansatz ihres Nackens über den Kasten ragen
und die hier und da gehobene Hand Delamarches hielt einen weit
herumspritzenden Badeschwamm, mit dem Brunelda gewaschen und gerieben
wurde. Man hörte die kurzen Befehle Delamarches, die er Robinson
erteilte, der nicht durch den jetzt verstellten, eigentlichen Zugang
des Raumes die Dinge reichte, sondern auf eine kleine Lücke zwischen
einem Kasten und einer spanischen Wand angewiesen war, wobei er
überdies bei jeder Handreichung den Arm weit ausstrecken und das
Gesicht abgewendet halten musste. "Das Handtuch! Das Handtuch",
rief Delamarche. Und kaum erschrak Robinson, der gerade unter dem
Tisch etwas anderes suchte, über diesen Auftrag und zog den Kopf
unter dem Tisch hervor, hieß es schon: "Wo bleibt das Wasser,
zum Teufel", und über dem Kasten erschien hochgereckt das
wütende Gesicht Delamarches. Alles, was man sonst nach Josies
Meinung zum Waschen und Anziehen nur einmal brauchte, wurde hier in
jeder möglichen Reihenfolge viele Male verlangt und gebracht. Auf
einem kleinen elektrischen Ofen stand immer ein Kübel mit Wasser zum
Wärmen und immer wieder trug Robinson die schwere Last zwischen den
weit auseinander gestellten Beinen zum Waschraum hin. Bei der Fülle
seiner Arbeit war es zu verstehen, wenn er sich nicht immer genau an
die Befehle hielt und einmal, als wieder ein Handtuch verlangt wurde,
einfach ein Hemd von der großen Schlafstätte in der Zimmermitte
nahm und in einem großen Knäuel über die Kästen hinüber warf.
Aber auch Delamarche hatte schwere Arbeit und war vielleicht nur
deshalb gegen Robinson so gereizt — in seiner Gereiztheit übersah
er Josie glattwegs — weil er selbst Brunelda nicht zufrieden
stellen konnte. "Ach", schrie sie auf und selbst der sonst
unbeteiligte Josie zuckte zusammen, "wie du mir weh tust! Geh
weg! Ich wasch mich lieber selbst, statt so zu leiden! Jetzt kann ich
schon wieder den Arm nicht heben. Mir ist ganz übel, wie du mich
drückst. Auf dem Rücken muss ich lauter blaue Flecke haben.
Natürlich, du wirst es mir nicht sagen. Warte, ich werde mich von
Robinson anschauen lassen oder von unserem Kleinen. Nein, ich tu es
ja nicht, aber sei nur ein wenig zarter. Nimm Rücksicht, Delamarche,
aber das kann ich jeden Morgen wiederholen, du nimmst und nimmst
keine Rücksicht. Robinson", rief sie dann plötzlich und
schwenkte ein Spitzenhöschen über ihrem Kopf, "komm mir zur
Hilfe, schau, wie ich leide, diese Tortur nennt er Waschen, dieser
Delamarche. Robinson, Robinson, wo bleibst du, hast auch du kein
Herz?" Josie machte schweigend Robinson ein Zeichen mit dem
Finger, dass er doch hingehen möge, aber Robinson schüttelte mit
gesenkten Augen überlegen den Kopf, er wusste es besser. "Was
fällt dir ein?" sagte Robinson zu Josies Ohr gebeugt, "das
ist nicht so gemeint. Nur einmal bin ich hingegangen und nicht
wieder. Sie haben mich damals beide gepackt und in die Wanne
getaucht, dass ich fast ertrunken wäre. Und tagelang hat mir
Brunelda vorgeworfen, dass ich schamlos bin und immer wieder hat sie
gesagt: 'Jetzt warst du aber schon lange nicht im Bad bei mir' oder
'Wann wirst du mich denn wieder im Bade anschauen kommen?' Erst bis
ich ihr einige Mal auf den Knien abgebeten habe, hat sie aufgehört.
Das werde ich nicht vergessen." Und während Robinson das
erzählte, rief Brunelda immer wieder: "Robinson! Robinson! Wo
bleibt denn dieser Robinson!"
Trotzdem
aber niemand ihr zu Hilfe kam und nicht einmal eine Antwort erfolgte
— Robinson hatte sich zu Josie gesetzt und beide sahen schweigend
zu den Kästen hin, über denen hier und da die Köpfe Bruneldas oder
Delamarches erschienen — trotzdem hörte Brunelda nicht auf, laut
über Delamarche Klage zu führen. "Aber Delamarche", rief
sie, "jetzt spüre ich ja wieder gar nicht, dass du mich
wäschst. Wo hast du den Schwamm? Also greif doch zu! Wenn ich mich
nur bücken, wenn ich mich nur bewegen könnte! Ich wollte dir schon
zeigen, wie man wäscht. Wo sind die Mädchenzeiten, als ich dort
drüben auf dem Gut der Eltern jeden Morgen im Colorado schwamm, die
beweglichste von allen meinen Freundinnen. Und jetzt! Wann wirst du
denn lernen, mich zu waschen, Delamarche, du schwenkst den Schwamm
herum, strengst dich an und ich spür nichts. Wenn ich sagte, dass du
mich nicht wund drücken sollst, so meinte ich doch nicht, dass ich
da stehen und mich erkälten will. Dass ich aus der Wanne spring und
weglaufe, so wie ich bin."
Aber
dann führte sie diese Drohung nicht aus — was sie ja auch an und
für sich gar nicht im Stande gewesen wäre — Delamarche schien sie
aus Furcht, sie könnte sich erkälten, erfasst und in die Wanne
gedrückt zu haben, denn mächtig klatschte es ins Wasser.
"Das
kannst du, Delamarche", sagte Brunelda ein wenig leiser,
"schmeicheln und immer wieder schmeicheln, wenn du etwas
schlecht gemacht hast." Dann war es ein Weilchen still. "Jetzt
küsst er sie", sagte Robinson und hob die Augenbrauen.
"Was
kommt jetzt für eine Arbeit?" fragte Josie. Da er sich nun
einmal entschlossen hatte, hier zu bleiben, wollte er auch gleich
seinen Dienst versehen. Er ließ Robinson, der nicht antwortete,
allein auf dem Kanapee und begann das große, von der Last der
Schläfer während der langen Nacht noch immer zusammengepresste
Lager auseinander zu werfen, um dann jedes einzelne Stück dieser
Masse ordentlich zusammenzulegen, was wohl schon seit Wochen nicht
geschehen war.
"Schau
nach, Delamarche", sagte da Brunelda, "ich glaube, sie
zerwerfen unser Bett. An alles muss man denken, niemals hat man Ruhe.
Du musst gegen die zwei strenger sein, sie machen sonst, was sie
wollen." "Das ist gewiss der Kleine mit seinem verdammten
Diensteifer", rief Delamarche und wollte wahrscheinlich aus dem
Waschraum hervor stürzen, Josie warf schon alles aus der Hand, aber
glücklicherweise sagte Brunelda: "Nicht weg gehn, Delamarche,
nicht weg gehn. Ach, wie ist das Wasser heiß, man wird so müde.
Bleib bei mir, Delamarche." Erst jetzt merkte Josie eigentlich,
wie der Wasserdampf hinter den Kästen unaufhörlich emporstieg.
Robinson
legte erschrocken die Hand an die Wange, als habe Josie etwas
Schlimmes angerichtet. "Alles in dem gleichen Zustand lassen, in
dem es war", erklang die Stimme Delamarches, "wisst ihr
denn nicht, dass Brunelda nach dem Bade immer noch eine Stunde ruht?
Elende Misswirtschaft! Wartet bis ich über euch komme. Robinson, du
träumst wahrscheinlich schon wieder. Dich, dich allein mache ich für
alles verantwortlich, was geschieht. Du hast den Jungen im Zaum zu
halten, hier wird nicht nach seinem Kopf gewirtschaftet. Wenn man
etwas will, kann man nichts von euch bekommen, wenn nichts zu tun
ist, seid ihr fleißig. Verkriecht euch irgendwohin und wartet, bis
man euch braucht."
Aber
gleich war alles vergessen, denn Brunelda flüsterte ganz müde, als
werde sie von dem heißen Wasser überflutet: "Das Parfüm!
Bringt das Parfüm!" "Das Parfüm!" schrie Delamarche.
"Rührt euch." Ja aber, wo war das Parfüm? Josie sah
Robinson an, Robinson sah Josie an. Josie merkte, dass er hier alles
allein in die Hand nehmen müsse, Robinson hatte keine Ahnung, wo das
Parfüm war, er legte sich einfach auf den Boden, fuhr immerfort mit
beiden Armen unter dem Kanapee herum, beförderte aber nichts anderes
als Knäuel von Staub und Frauenhaaren heraus. Josie eilte zuerst zum
Waschtisch, der gleich bei der Türe stand, aber in seinen Schubladen
fanden sich nur alte englische Romane, Zeitschriften und Noten vor
und alles war so überfüllt, dass man die Schubladen nicht schließen
konnte, wenn man sie einmal aufgemacht hatte. "Das Parfüm",
seufzte unterdessen Brunelda. "Wie lange das dauert! Ob ich
heute noch mein Parfüm bekomme!" Bei dieser Ungeduld Bruneldas
durfte natürlich Josie nirgends gründlich suchen, er musste sich
auf den oberflächlichen, ersten Eindruck verlassen. Im Waschkasten
war die Flasche nicht, auf dem Waschkasten standen überhaupt nur
alte Fläschchen mit Medizinen und Salben, alles andere war
jedenfalls schon in den Waschraum getragen worden. Vielleicht war die
Flasche in der Schublade des Esstisches. Auf dem Weg zum Esstisch
aber — Josie dachte nur an das Parfüm, sonst an nichts — stieß
er heftig mit Robinson zusammen, der das Suchen unter dem Kanapee
endlich aufgegeben hatte und in einer aufdämmernden Ahnung vom
Standort des Parfüms wie blind Josie entgegen lief. Man hörte
deutlich das Zusammenschlagen der Köpfe, Josie blieb stumm, Robinson
hielt zwar im Lauf nicht ein, schrie aber, um sich den Schmerz zu
erleichtern, andauernd und übertrieben laut.
"Statt
das Parfüm zu suchen, kämpfen sie", sagte Brunelda. "Ich
werde krank von dieser Wirtschaft, Delamarche, und werde ganz gewiss
in deinen Armen sterben. Ich muss das Parfüm haben", rief sie
dann sich aufraffend, "ich muss es unbedingt haben. Ich gehe
nicht früher aus der Wanne, ehe man es mir bringt und müsste ich
hier bis abends bleiben." Und sie schlug mit der Faust ins
Wasser, man hörte es aufspritzen.
Aber
auch in der Schublade des Esstisches war das Parfüm nicht, zwar
waren dort ausschließlich Toilettengegenstände Bruneldas, wie alte
Puderquasten, Schminktöpfchen, Haarbürsten, Löckchen und viele
verfitzte und zusammengeklebte Kleinigkeiten, aber das Parfüm war
dort nicht. Und auch Robinson, der noch immer schreiend in einer Ecke
von etwa hundert dort aufgehäuften Schachteln und Kassetten, eine
nach der andern öffnete und durchkramte, wobei immer die Hälfte des
Inhalts, meist Nähzeug und Briefschaften, auf den Boden fiel und
dort liegen blieb, konnte nichts finden, wie er zeitweise Josie durch
Kopfschütteln und Achselzucken anzeigte.
Da
sprang Delamarche in Unterkleidung aus dem Waschraum hervor, während
man Brunelda krampfhaft weinen hörte. Josie und Robinson ließen vom
Suchen ab und sahen Delamarche an, der ganz und gar durchnässt, auch
vom Gesicht und von den Haaren rann ihm das Wasser, ausrief: "Jetzt
also fangt gefälligst zu suchen an." "Hier!" befahl
er zuerst Josie zu suchen und dann "Dort!" Robinson. Josie
suchte wirklich und überprüfte auch noch die Plätze, zu denen
Robinson schon kommandiert worden war, aber er fand ebenso wenig das
Parfüm, wie Robinson, der eifriger, als er suchte, seitlich nach
Delamarche ausschaute, der soweit der Raum reichte, stampfend im
Zimmer auf- und abging und gewiss am liebsten sowohl Josie wie
Robinson durchgeprügelt hätte.
"Delamarche",
rief Brunelda, "komm mich doch wenigstens abtrocknen. Die zwei
finden ja das Parfum doch nicht und bringen nur alles in Unordnung.
Sie sollen sofort mit dem Suchen aufhören. Aber gleich! Und alles
aus der Hand legen! Und nichts mehr anrühren! Sie möchten wohl aus
der Wohnung einen Stall machen. Nimm sie beim Kragen, Delamarche,
wenn sie nicht aufhören! Aber sie arbeiten ja noch immer, gerade ist
eine Schachtel gefallen. Sie sollen sie nicht mehr aufheben, alles
liegen lassen und aus dem Zimmer heraus! Riegel hinter ihnen die Tür
zu und komm zu mir. Ich liege ja schon viel zu lange im Wasser, die
Beine habe ich schon ganz kalt."
"Gleich,
Brunelda, gleich", rief Delamarche und eilte mit Josie und
Robinson zur Tür. Ehe er sie aber entließ, gab er ihnen den
Auftrag, das Frühstück zu holen und womöglich von jemandem ein
gutes Parfüm für Brunelda auszuborgen.
"Das
ist eine Unordnung und ein Schmutz bei euch", sagte Josie
draußen auf dem Gang, "gleich wie wir mit dem Frühstück
zurückkommen, müssen wir zu ordnen anfangen."
"Wenn
ich nur nicht so leidend wäre", sagte Robinson. "Und diese
Behandlung!" Gewiss kränkte sich Robinson darüber, dass
Brunelda zwischen ihm, der sie doch schon monatelang bediente, und
Josie, der erst gestern eingetreten war, nicht den geringsten
Unterschied machte. Aber er verdiente es nicht besser und Josie
sagte: "Du musst dich ein wenig zusammennehmen." Um ihn
aber nicht gänzlich seiner Verzweiflung zu überlassen, fügte er
hinzu: "Es wird ja nur eine einmalige Arbeit sein. Ich werde dir
hinter den Kästen ein Lager machen, und wenn nur einmal alles ein
wenig geordnet ist, wirst du dort den ganzen Tag liegen können, dich
um gar nichts kümmern müssen und sehr bald gesund werden."
"Jetzt
siehst du es also selbst ein, wie es mit mir steht", sagte
Robinson und wandte das Gesicht von Josie ab, um mit sich und seinem
Leid allein zu sein. "Aber werden sie mich denn jemals ruhig
liegen lassen?"
"Wenn
du willst, werde ich darüber selbst mit Delamarche und Brunelda
reden."
"Nimmt
denn Brunelda irgendeine Rücksicht?" rief Robinson aus und
stieß, ohne dass er Josie darauf vorbereitet hätte, mit der Faust
eine Tür auf, zu der sie eben gekommen waren.
Sie
traten in eine Küche ein, von deren Herd, der reparaturbedürftig
schien, geradezu schwarze Wölkchen aufstiegen. Vor der Herdtüre
kniete eine der Frauen, die Josie gestern auf dem Korridor gesehen
hatte, und legte mit den bloßen Händen große Kohlenstücke in das
Feuer, das sie nach allen Richtungen hin prüfte. Dabei seufzte sie
in ihrer für eine alte Frau unbequemen knieenden Stellung.
"Natürlich,
da kommt auch noch diese Plage", sagte sie beim Anblick
Robinsons, erhob sich mühselig, die Hand auf der Kohlenkiste, und
schloss die Herdtüre, deren Griff sie mit ihrer Schürze umwickelt
hatte. "Jetzt, um vier Uhr nachmittags", — Josie staunte
die Küchenuhr an, — "müsst ihr noch frühstücken? Bande!"
"Setzt
euch", sagte sie dann, "und wartet, bis ich für euch Zeit
habe."
Robinson
zog Josie auf ein Bänkchen in der Nähe der Türe nieder und
flüsterte ihm zu: "Wir müssen ihr folgen. Wir sind nämlich
von ihr abhängig. Wir haben unser Zimmer von ihr gemietet und sie
kann uns natürlich jeden Augenblick kündigen. Aber wir können doch
nicht die Wohnung wechseln, wie sollen wir denn wieder alle die
Sachen wegschaffen und vor allem ist doch Brunelda nicht
transportabel."
"Und
hier auf dem Gang ist kein anderes Zimmer zu bekommen?" fragte
Josie.
"Es
nimmt uns ja niemand auf", antwortete Robinson, "im ganzen
Haus nimmt uns niemand auf."
So
saßen sie still auf ihrem Bänkchen und warteten. Die Frau lief
immerfort zwischen zwei Tischen, einem Waschbottich und dem Herd hin
und her. Aus ihren Ausrufen erfuhr man, dass ihre Tochter unwohl war
und sie deshalb alle Arbeit, nämlich die Bedienung und Verpflegung
von dreißig Mietern allein besorgen musste. Nun war noch überdies
der Ofen schadhaft, das Essen wollte nicht fertig werden, in zwei
riesigen Töpfen wurde eine dicke Suppe gekocht und wie oft die Frau
auch sie mit Schöpflöffeln untersuchte und aus der Höhe herab
fließen ließ, die Suppe wollte nicht gelingen, es musste wohl das
schlechte Feuer daran schuld sein und so setzte sie sich vor der
Herdtüre fast auf den Boden und arbeitete mit dem Schürhaken in der
glühenden Kohle herum. Der Rauch, von dem die Küche erfüllt war,
reizte sie zum Husten, der sich manchmal so verstärkte, dass sie
nach einem Stuhl griff und minutenlang nichts anderes tat als
hustete. Öfters machte sie die Bemerkung, dass sie das Frühstück
heute überhaupt nicht mehr liefern werde, weil sie dazu weder Zeit
noch Lust habe. Da Josie und Robinson einerseits den Befehl hatten,
das Frühstück zu holen, andererseits aber keine Möglichkeit, es zu
erzwingen, antworteten sie auf solche Bemerkungen nicht, sondern
blieben still sitzen wie zuvor.
Ringsherum
auf Sesseln und Fußbänkchen, auf und unter den Tischen, ja selbst
auf der Erde, in einen Winkel zusammengedrängt, stand noch das
ungewaschene Frühstücksgeschirr der Mieter. Da waren Kännchen, in
denen sich noch ein wenig Kaffee oder Milch vorfinden würde, auf
manchen Tellerchen gab es noch Überbleibsel von Butter, aus einer
umgefallenen, großen Blechbüchse waren Cakes weit heraus gerollt.
Es war schon möglich, aus dem allen ein Frühstück
zusammenzustellen, an dem Brunelda, wenn sie seinen Ursprung nicht
erfuhr, nicht das Geringste hätte aussetzen können. Als Josie das
bedachte und ein Blick auf die Uhr ihm zeigte, dass sie nun schon
eine halbe Stunde hier warteten und Brunelda vielleicht wütete und
Delamarche gegen die Dienerschaft aufhetzte, rief gerade die Frau aus
einem Husten heraus — während dessen sie Josie anstarrte: "Ihr
könnt hier schon sitzen, aber das Frühstück bekommt ihr nicht.
Dagegen bekommt ihr in zwei Stunden das Nachtmahl."
"Komm,
Robinson", sagte Josie, "wir werden uns das Frühstück
selbst zusammenstellen." "Wie?" rief die Frau mit
geneigtem Kopf. "Seien Sie doch bitte vernünftig", sagte
Josie, "warum wollen Sie uns denn das Frühstück nicht geben?
Nun warten wir schon eine halbe Stunde, das ist lang genug. Man
bezahlt ihnen doch alles und gewiss zahlen wir bessere Preise als
alle andern. Dass wir so spät frühstücken, ist gewiss für Sie
lästig, aber wir sind ihre Mieter, haben die Gewohnheit, spät zu
frühstücken, und Sie müssen sich eben auch ein wenig für uns
einrichten. Heute wird es Ihnen natürlich wegen der Krankheit ihres
Fräulein Tochter besonders schwer, aber dafür sind wir wieder
bereit, uns das Frühstück hier aus den Überbleibseln
zusammenzustellen, wenn es nicht anders geht, und Sie uns kein
frisches Essen geben."
Aber
die Frau wollte sich mit niemanden in eine freundschaftliche
Aussprache einlassen, für diese Mieter schienen ihr auch noch die
Überbleibsel des allgemeinen Frühstücks zu gut; aber andererseits
hatte sie die Zudringlichkeit der zwei Diener schon satt, packte
deshalb ein Tablett und stieß es Robinson gegen den Leib, der erst
nach einem Weilchen mit wehleidigem Gesicht begriff, dass er das
Tablett halten sollte, um das Essen, das die Frau aussuchen wollte,
in Empfang zu nehmen. Sie belud nun das Tablett in größter Eile
zwar mit einer Menge von Dingen, aber das Ganze sah eher wie ein
Haufen schmutzigen Geschirrs, nicht wie ein eben zu servierendes
Frühstück aus. Noch während die Frau sie hinaus drängte und sie
gebückt, als fürchteten sie Schimpfwörter oder Stöße, zur Türe
eilten, nahm Josie das Tablett Robinson aus den Händen, denn bei
Robinson schien es ihm nicht genug sicher.
Auf
dem Gang setzte sich Josie, nachdem sie weit genug von der Tür der
Vermieterin waren, mit dem Tablett auf den Boden, um vor allem das
Tablett zu reinigen, die zusammengehörigen Dinge zu sammeln, also
die Milch zusammen zu gießen, die verschiedenen Butterüberbleibsel
auf einen Teller zu kratzen, dann alle Anzeichen des Gebrauches zu
beseitigen, also die Messer und Löffel zu reinigen, die angebissenen
Brötchen gerade zu schneiden und so dem Ganzen ein besseres Ansehen
zu geben. Robinson hielt diese Arbeit für unnötig und behauptete,
das Frühstück hätte schon oft noch viel ärger ausgesehen, aber
Josie ließ sich durch ihn nicht abhalten und war noch froh, dass
sich Robinson mit seinen schmutzigen Fingern an der Arbeit nicht
beteiligen wollte. Um ihn in Ruhe zu halten, hatte ihm Josie gleich,
allerdings ein für allemal, wie er ihm dabei sagte, einige Cakes und
den dicken Bodensatz eines früher mit Schokolade gefüllten
Töpfchens zugewiesen.
Als
sie vor ihre Wohnung kamen und Robinson ohne weiteres die Hand an die
Klinke legte, hielt ihn Josie zurück, da es doch nicht sicher war,
ob sie eintreten durften. "Aber ja", sagte Robinson, "jetzt
frisiert er sie ja nur." Und tatsächlich saß in dem noch immer
ungelüfteten und verhängten Zimmer Brunelda mit weit auseinander
gestellten Beinen im Lehnstuhl und Delamarche, der hinter ihr stand,
kämmte mit tief herab gebeugtem Gesicht ihr kurzes, wahrscheinlich
sehr verfilztes Haar. Brunelda trug wieder ein ganz loses Kleid,
diesmal aber von blassrosa Farbe, es war vielleicht ein wenig kürzer
als das gestrige, wenigstens sah man die weißen, grob gestrickten
Strümpfe fast bis zum Knie. Ungeduldig über die lange Dauer des
Kämmens, fuhr Brunelda mit der dicken roten Zunge zwischen den
Lippen hin und her, manchmal riss sie sich sogar mit dem Ausruf "Aber
Delamarche!" gänzlich von Delamarche los, der mit erhobenem
Kamm ruhig wartete, bis sie den Kopf wieder zurücklegte.
"Es
hat lange gedauert", sagte Brunelda im Allgemeinen und zu Josie
insbesondere sagte sie: "Du musst ein wenig flinker sein, wenn
du willst, dass man mit dir zufrieden ist. An dem faulen und
gefräßigen Robinson darfst du dir kein Beispiel nehmen. Ihr habt
wohl schon inzwischen irgendwo gefrühstückt, ich sage euch,
nächstens dulde ich das nicht."
Das
war sehr ungerecht und Robinson schüttelte auch den Kopf und
bewegte, allerdings lautlos, die Lippen, Josie jedoch sah ein, dass
man auf die Herrschaft nur dadurch einwirken könne, dass man ihr
zweifellose Arbeit zeige. Er zog daher ein niedriges japanisches
Tischchen aus einem Winkel, überdeckte es mit einem Tuch und stellte
die mitgebrachten Sachen auf. Wer den Ursprung des Frühstücks
gesehen hatte, konnte mit dem Ganzen zufrieden sein, sonst aber war,
wie sich Josie sagen musste, manches daran auszusetzen.
Glücklicherweise
hatte Brunelda Hunger. Wohlgefällig nickte sie Josie zu, während er
alles vorbereitete und öfters hinderte sie ihn, indem sie vorzeitig
mit ihrer weichen, fetten, womöglich gleich alles zerdrückenden
Hand irgendeinen Bissen für sich hervorholte. "Er hat es gut
gemacht", sagte sie schmatzend und zog Delamarche, der den Kamm
in ihrem Haar für die spätere Arbeit stecken ließ, neben sich auf
einen Sessel nieder. Auch Delamarche wurde im Anblick des Essens
freundlich, beide waren sehr hungrig, ihre Hände eilten kreuz und
quer über das Tischchen. Josie erkannte, dass man hier, um zu
befriedigen, nur immer möglichst viel bringen musste und in
Erinnerung daran, dass er in der Küche noch verschiedene brauchbare
Esswaren auf dem Boden liegen gelassen hatte, sagte er: "Zum
ersten Mal habe ich nicht gewusst, wie alles eingerichtet werden
soll, nächstes Mal werde ich es besser machen." Aber noch
während des Redens erinnerte er sich, zu wem er sprach, er war zu
sehr von der Sache selbst befangen gewesen.
Brunelda
nickte Delamarche befriedigt zu und reichte Josie zum Lohn eine
Handvoll Keks.
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