Donnerstag, 7. Dezember 2017

JL Berger präsentiert: Franz Kafka - "Der Verschollene" in der Fassung der modernen Rechtschreibung, XI: "Zugreise nach Oklahama"

Sie fuhren zwei Tage und zwei Nächte. Jetzt erst begriff Josie die Größe Amerikas. Unermüdlich sah er aus dem Fenster und Giacomo drängte sich solange mit heran, bis die Burschen gegenüber, die sich viel mit Kartenspiel beschäftigten, dessen überdrüssig wurden und ihm freiwillig den Fensterplatz einräumten. Josie dankte ihnen — Giacomos Englisch war nicht jedem verständlich — und sie wurden im Laufe der Zeit, wie es unter Kupeegenossen nicht anders sein kann, viel freundlicher, doch war auch ihre Freundlichkeit oft lästig, da sie z.B. immer, wenn ihnen eine Karte auf den Boden fiel und sie den Boden nach ihr absuchten, Josie oder Giacomo mit aller Kraft ins Bein zwickten. Giacomo schrie dann, immer von Neuem überrascht, und zog das Bein in die Höhe, Josie versuchte manchmal mit einem Fußtritt zu antworten, duldete aber im Übrigen alles schweigend. Alles, was sich in dem kleinen, selbst bei offenem Fenster von Rauch überfüllten Kupee ereignete, verging vor dem, was draußen zu sehen war.
Am ersten Tag fuhren sie durch ein hohes Gebirge. Bläulich schwarze Steinmassen gingen in spitzen Keilen bis an den Zug heran, man beugte sich aus dem Fenster und suchte vergebens ihre Gipfel, dunkle, schmale, zerrissene Täler öffneten sich, man beschrieb mit dem Finger die Richtung, in der sie sich verloren, breite Bergströme kamen eilend als große Wellen auf dem hügeligen Untergrund und in sich tausend kleine Schaumwellen treibend, sie stürzten sich unter die Brücken, über die der Zug fuhr, und sie waren so nah, dass der Hauch ihrer Kühle das Gesicht erschauern machte.
Der Zug raste auf die nächste Brücke zu, so hoch, so hoch,
sie brach ein, der Zug stürzte den Abgrund hinab, konnte Josie sich retten oder blieb er für immer verschollen? Und was geschah mit Giacomo?
Fortsetzung folgt (nicht)...

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